Icaro – Wir sind nun auch Mitglied im wachsenden Club der Pflegestellenversager (PSV)

Nachdem bereits drei saving-dogs Hunde bei uns leben (Bianca, Nuvola und Joel) und ich auch schon auf HOPE war, schaue ich natürlich immer wieder auf die Homepage. Im Dezember 2019 bin ich irgendwie bei Icaro hängen geblieben.

Ich sah diesen kleinen, älteren Rüden mit dem struppigen Fell, der vor lauter Angst und Panik nicht wusste, wohin er blicken oder gehen soll, der mit seinen kleinen Pfötchen im Dreck hin und her tappte und am liebsten unsichtbar gewesen wäre, der sein ganzes Leben nur diese paar Quadratmeter ohne Beschäftigung kennt, kein Spielzeug, kein bisschen Grün, nur Schlamm und Gitter, der keine Ahnung hat, wie schön das Leben seit könnte – und fing an zu heulen. Um Icaro herum lief Lina, 15 Jahre alt, ein ähnliches Schicksal, die zum Glück bereits einen Platz in Deutschland hatte. Lina geht – und dann? Was wird aus Icaro?

 

„Icaro ist ein Angsthund. Er hat nie etwas anderes als diesen Zwinger kennen gelernt. Er kennt keine Wohnung von innen. Vielleicht ist er nicht mal stubenrein, vielleicht kommt er nicht mit unseren Hunden klar (oder sie mit ihm?), vielleicht kann man ihn noch nicht mal anfassen, wird er aggressiv, vielleicht …

Nein, wir haben schon drei Hunde; wir haben auch schon ein großes Auto deshalb gekauft, wir können nicht noch einen nehmen. Vielleicht nur vorübergehend, als Pflegestelle, bis er seine Familie gefunden hat … Ok, bei meinem Mann hielt sich die Begeisterung stark in Grenzen. Icaro (eher klein und rotblond) passt optisch so gar nicht zu unseren Hunden (groß und weiß). Na gut, wir springen als Pflegestelle ein, bis Icaro vermittelt ist – aber nur ausnahmsweise!“

 

Am Sonntag, 26. Januar 2020 habe ich Icaro am Rasthof Fürholzen abgeholt. Der arme Kerl war so verschreckt, dass er sich buchstäblich tot stellte. Im Auto hat er sich in der Transportbox in die letzte Ecke verkrochen und mich mit weit aufgerissenen Augen angesehen, als ob gleich was ganz Schreckliches passieren würde. Wie einen Plüschhund konnte ich ihn hochnehmen und tragen.

Zuhause hat er sich sofort verkrochen. Wir haben an mehreren Stellen große Schachteln als Hundehütten aufgestellt, so dass er sich zunächst mal zurückziehen und aus sicherer Position beobachten konnte. Icaro hat nicht gefressen und getrunken, nur nachts, wenn er meinte, dass es keiner merkt. Er hat sich auch stundenlang nicht aus seiner Hütte gewagt – wie ein Gallier, der Angst hat, dass ihm gleich der Himmel auf den Kopf fällt. Hat er sich doch mal rausgetraut (nur wenn er sich unbeobachtet fühlte), dann war er sofort wieder in der nächsten Hütte verschwunden, sobald sich jemand von uns näherte.

 

Nuvola war sofort richtig verliebt in Icaro, Bianca war er erstmal egal, Joel hat ihn zunächst angebellt. Von Icaro kam keine Regung, kein einziger Laut. Er wollte immer nur flüchten und so behielt er das Sicherheitsgeschirr die erste Zeit rund um die Uhr an. Wenn Icaro keine Möglichkeit zum Flüchten sah, stellte er sich tot, ließ sich dann widerstandslos hochnehmen und dorthin tragen, wohin man ihn haben wollte. Icaro ging nicht nach draußen (er kannte wohl keinen Rasen und was sonst so im Garten ist); war er draußen, ging er nicht rein (er kannte ja auch kein Wohnzimmer, keinen Fernseher, keine Küchengeräusche, …) – ich musste ihn tragen.

 

Aber Icaro war von Anfang an stubenrein. Bereits in der ersten Nacht hat er sich gemeldet. Und langsam taute er auf. Einmal habe ich ihn „zwangsbeschmust“: Wir waren draußen, Icaro mit Sicherheitsgeschirr an der Leine und ich setzte mich neben ihn. Er ging so weit weg, wie die Leine es zuließ, drehte mir das Hinterteil zu und versank wieder in seiner Schockstarre. Ich streichelte ihn trotzdem. Irgendwann wurde er etwas lockerer (ich streichelte weiter), nach weiteren langen Minuten setzte er sich (weiterstreicheln), dann legte er sich sogar ab (immer noch streicheln), und dann, nach ungefähr einer Stunde, zeigte er mir sogar ganz vorsichtig seinen Bauch – ich glaube, in diesem Moment war er einfach total erledigt und ließ einfach alles über sich ergehen.

 

Beim intensiven Kraulen und Streicheln merkt man auch, dass sein Körper von seiner dunklen Vergangenheit erzählt. Am rechten Oberschenkel hat er eine lange Narbe, auf der kein Fell wächst; die Ohren haben an den Enden verdickte Knoten und sie sind eingerissen; und kleinere Narben sind auf seinem ganzen Körper verteilt.

Es hat lange gedauert, bis er uns vertraute. Nuvola hat einen großen Beitrag dazu geleistet. Wie bereits bei Joel, hat sie Icaro „die Welt erklärt“. Sie ist eine Spitzentherapeutin, obwohl sie selbst nicht den besten Start im Leben hatte. Sie kümmert sich und hilft Icaro, sich zu öffnen.

 

Heute ist es so, dass Icaro bei uns zuhause (Wohnung und Garten) voll daheim ist. Er läuft ohne Brustgeschirr durch den Garten und kommt echt zuverlässig, wenn man ihn ruft. Er spielt sehr gern mit Nuvola und Joel, gibt auch mal Laut, und wenn ein Fahrzeug mit Martinshorn vorbeifährt, dann heulen Joel, Nuvola und Icaro um die Wette. Kontaktliegen mit den anderen? Gerne! Icaro liebt es jetzt, angefasst zu werden. Von Streicheleinheiten kriegt er nie genug und fordert die auch mit Nasenstupsern ein. Wenn ich Bianca bürste, schiebt sich Icaro dazwischen – er will auch! Sogar Krallenschneiden empfindet er wohl als Liebkosung und wenn wir ihm morgens sein Brustgeschirr anziehen, streckt er schon freudig wedelnd den Kopf vor.

Wenn Joel oder/ und Nuvola fehlen, dann sucht Icaro fiepend alles ab. Kommen sie wieder, dann werden beide stürmisch begrüßt, die Lefzen werden abgeschleckt, er tanzt förmlich auf den Hinterpfoten vor Freude. Icaro kennt unseren durchstrukturierten Tagesablauf (Bianca braucht zu bestimmten Zeiten Medikamente) und stellt sich auch immer mit an, wenn was verteilt wird. Er grinst förmlich, wenn man ihn krault, morgens beim Aufstehen. Da wälzt er sich erstmal genüsslich mit dem Rücken auf dem Bett (Morgengymnastik).

 

Dieser kleine Kerl hat sich so toll entwickelt, vom unsichtbaren Angsthund zum verspielten Terrier, der durchaus weiß, was er will. Ihm wurden neun Jahre seines Lebens gestohlen, weil man ihn ins Canile steckte; jetzt holt er mit voller Wucht die schönen Seiten des Lebens nach, so gut es geht. Von wegen: Alte Hunde lernen nichts mehr dazu – und wie!

Nachts schreckt er manchmal aus den Träumen hoch, knurrt, schnappt um sich – doch wenn er dann merkt, wo er ist, dann beruhigt er sich und schläft wieder ein. Icaro hat so ein goldiges Teddygesicht; besonders sind seine Ohren, von denen eines geknickt ist und je nach Laune kann man alles von seinen Lauschern ablesen. Und die Augen schielen etwas nach außen. Er ist so ein hübscher Kerl!

 

Alles, was außerhalb unserer Wohnung und dem Garten ist, empfindet er noch als furchteinflößend, genauso wie fremde Menschen (Briefträger, Handwerker …). Aber es wird schon besser. Zu Beginn bekam er Panik, wenn er auf der Straße in der Ferne einen Menschen sah. Inzwischen kann er neben uns sitzen bleiben und andere Personen passieren lassen, ohne dass er sofort in Panik und Fluchtverhalten fällt. Er fühlt sich noch nicht wohl dabei, aber er ist ansprechbar. Wir arbeiten weiter daran, denn wir möchten ihn gern irgendwann mitnehmen auf längere Spaziergänge und Ausflüge.

 

Tja, und dann kam der Moment, wo mein Mann sagte, er fragt Karin Loebnitz, ob wir Icaro behalten dürfen. Ich habe ihn etwas ungläubig angeschaut. „Ach, weißt du, der hat sich hier so gut eingelebt, der fühlt sich wohl und mit den anderen kommt er auch super klar – wieso nicht.“ Mission erfüllt: Icaro hat seine Familie und wir sind keine Pflegestelle mehr. Ja, stimmt, es war anders gedacht, aber es ist gut so, wie es ist. Und ich habe meinem Mann versprochen: Kein zusätzlicher Hund mehr!

 

Icaro, möchtest du auch noch was dazu sagen?

 

„Ja, klar! Erst mal möchte ich dem saving-dogs Team von ganzem Herzen danke sagen. Hätten sie mich nicht aus dem Canile geholt, wüsste ich nicht, wie schön das Leben sein kann. Hier habe ich alles, was mein kleines Hundeherz begehrt: Zwei mal täglich eine gut gefüllte Schüssel mit Futter und immer sauberes Wasser; Spielkameraden; Platz für Rennspiele im Garten (und auch mal Buddeln); Fellpflege, ein kuscheliges Kissen und Menschen, die sich um mich kümmern und mich mit Streicheleinheiten verwöhnen. Ich wünschte, alle Hunde, ach was - alle Tiere dieser Welt - hätten so viel Glück.

Bitte, liebe Tierfreunde, macht weiter! Helft meinen Artgenossen und allen, die Hilfe brauchen.

 

Mille grazie per tutto quanto,

ciao, arrivederci,

 

Icaro