Das Warten auf meinen Tierschutz-Seelenhund

Tag 1

Ich habe dich gesehen und war sofort verliebt. Nur weil du mich mit deinen seelenvollen Augen aus einem Computer angeschaut hast. Ich kenne dich gar nicht, und doch weiß ich in genau diesem Moment: Du und ich, wir gehören zusammen. Mein Herz klopft tatsächlich schneller, als ich deine Geschichte lese. Du steckst in einem Gefängnis, hast irgendwie längere Zeit überlebt. Bist bereits zu lange dort, hast viel mitgemacht. Meine Augen füllen sich mit Tränen. Ich schaue mir jedes deiner Fotos genau an, vergrößere sie. Präge mir alles an dir ein. Wieder dieser Blick. Melancholisch, aber nicht ohne Wärme und Hoffnung. Wer bist du? Ich lese alles noch einmal. Nein, so darf dein Leben nicht weiter gehen…Ich werde dich da raus holen und dir all das wiedergeben, was man dir gestohlen hat. Dein Video sehe ich mir auch gefühlte 10 Mal an.

 

Was wollen die für dich?

  • Ein sicher eingezäuntes Grundstück.
    Hab ich. Werde heute Nachmittag gleich mal den Zaun abgehen - sicherheitshalber.
  • Jemanden, dem bewusst ist, dass du nichts kennst, nichts weißt und vielleicht erst mal völlig überfordert bist, wenn du kommst.
    Keine Sorge, ich erwarte gar nichts, werde dir aber alles geben und dir helfen, wo ich nur kann.
  • Eine Rundumbetreuung sowie Nähe, besonders nachts.
    Wie gut, dass ich alle Zeit der Welt für dich habe. Und falls ich mal weniger haben sollte, dann nehme ich sie mir für dich. Du darfst gerne in meinem Bett schlafen, wenn dir das Körbchen daneben nicht nahe genug ist. Kriegen wir hin.

Jetzt muss ich da anrufen, es gibt kein Halten mehr. Die Dame ist sehr nett und durchaus vertraut mit meinem Gestammel darüber, wie verliebt ich bin und dass ich dich unbedingt adoptieren möchte. Sie stellt viele Fragen und erzählt mir von dir. Ich entspanne mich, bedanke mich 3 Mal und fülle später den Fragebogen aus. Jetzt heißt es warten. Hoffentlich finden die auch, dass ich dein Mensch werden soll. Bis es soweit ist, könnte ich dich ja noch mal besuchen auf deiner Vermittlungsseite. Ich sehe mir wieder alle deine Bilder an und murmele, dass du es bald sehr gut haben wirst, dass du durchhalten musst. Nur noch ein bisschen… Als wenn du mich hören könntest. Albern. Aber ich kann nicht anders. Vielleicht spürst du ja irgendwie, dass es jetzt jemanden gibt, dem dein Schicksal sehr nahe geht und der für dich brennt…?

 

Tag 2

Wann wohl die Rückmeldung kommt? Ich habe kaum geschlafen, sitze schon mit dem Morgenkaffee am PC und bin bei dir. Deine Geschichte kann ich jetzt auswendig. Wieder suche ich deinen Blick. Bald wird es besser, mein Schatz. Irgendwann kann ich mich von dir lösen und sehe mir deine Gefängniszelle an. Den rissigen Beton, der stellenweise mit grünem Zeug belegt ist. Die rostigen Gitterstäbe, die armseligen, angenagten Holzhütten. Es schnürt mir den Hals zu. Wie kann man in dieser Trostlosigkeit so lange überleben? Was tust du den ganzen Tag? Vermutlich nichts. Und das tagein, tagaus.

Das Telefon schellt, ich lasse fast den Kaffee fallen. Es ist soweit. Meine Finger zittern leicht, als ich das Gespräch annehme. Werden wir beide eine gemeinsame Zukunft haben?

Die Dame sagt, dass der Fragebogen prima aussieht - juhuu! Nun stellt sie mir noch viele detaillierte Fragen und ich habe zunächst Mühe mit der Konzentration. Wir reden lange und es wird auch ein Besuch bei mir stattfinden, um dein künftiges Zuhause unter die Lupe zu nehmen. Das finde ich klasse, denn du hast es verdient, dass alles perfekt ist. Ich könnte der Dame um den Hals fallen.

Tag 3-8

Ich warte auf den Vorbesuch. Es dauert natürlich, dies zu organisieren. Jeden Tag besuche ich dich morgens und auch abends auf deiner Seite und erzähle dir, dass du es bald geschafft hast. Dass ich dich lieb habe und mich wahnsinnig auf dich freue. Du bist bereits das Hintergrundbild meines Handys und 3 Fotos habe ich mir auch ausgedruckt und aufgehängt. Ich möchte dich immer sehen und bei mir haben.

 

Tag 9

Heute ist es soweit – der Vorbesuch steht an. Ich bin aufgeregt, aber auch zuversichtlich. Schließlich habe ich mir mein Zuhause unter allen Aspekten für dich noch einmal zu Gemüte geführt und Änderungen vorgenommen.

In jeder Steckdose ist jetzt eine Kindersicherung. Alle losen Kabel sind in Schächten, so wie es sich gehört, wenn ein Hund einzieht (Mein Mann hatte eine arbeitsreiche Freizeit). Alle eventuell giftigen Pflanzen in Hundereichweite habe ich ähem…in die Freiheit entlassen. Die Regentonne am Zaun steht jetzt woanders. Nicht, dass du drauf springst und dann über den Zaun hechtest. Über Sicherheit im Garten hatten wir bereits ausführlich am Telefon gesprochen.

Im Haus darfst du natürlich in jedes Zimmer und ich kann deine Körbchen und Matten –jaaa, du bekommst mindestens 2 oder 3 – dahin packen, wo du sein möchtest.

 

Die Vorkontrolleurin ist ebenfalls sehr sympathisch und sieht sich jede Ecke im Haus an, stellt Fragen. Sie scheint zufrieden mit meinen Auskünften zu sein. Den Gartenzaun geht sie Meter für Meter ab und findet tatsächlich 2 Stellen unter einem Busch versteckt, die nachgebessert werden müssen. Gut, dass 4 Augen mehr sehen als 2 – mir war es nämlich dummerweise entgangen. Ich verspreche, die Stellen sofort zu reparieren. Es ist keine große Sache, wäre aber ein Risiko für dich. Also zack-zack, nächster Auftrag für meinen Mann.

 

Tag 10

Als die Reparatur erledigt ist, mache ich ein Video davon und schicke es der ersten Dame, deiner Vermittlerin. Sie ist inzwischen über den Vorbesuch im Bilde und wartet auf die Nachbesserung des Zauns. Gerade hat sie angerufen und gesagt, dass nun alles bestens ist. DU DARFST KOMMEN!

Ich kann kaum beschreiben, was das für ein Gefühl ist. Ich heule und lache, all der Druck fällt von mir ab. Ich bin einfach nur happy. Sofort fahre ich den PC hoch. Ich muss dir doch erzählen, dass du nun ein Zuhause hast! Ich sehe den Beton, die verdreckten Mauern und die schäbigen Holzverschläge schon gar nicht mehr. Sie werden bald vergessen sein. Ach, wenn du es doch auch schon wüsstest! Die Emotionen, die sich über meinen Computer ergießen, müssten eigentlich bis nach Sardinien schwappen…

Bleib bitte gesund, halte noch ein wenig durch, mein Herz. Dein Schicksal hat gerade eine 180 Grad-Wendung genommen.

 

Tag 11- 37

Ich bin im Nestbautrieb. Deine weiche Kudde und die bequemen Schaumstoffmatten (mit Bezug natürlich) liegen gerade Probe in jedem Zimmer, ich rücke hier und schiebe da. Ist es gemütlich genug? Ist auch keine Zugluft an deinen Plätzen? Naja, du wirst da wahrscheinlich eh noch Standortveränderungen vornehmen…

 

Fleisch für den ersten Monat ist schon im Gefrierschrank; Rinderohren, Gemüseflocken und Supplemente stehen bereit. Und auch gescheites Dosenfutter, falls du mit Barf nicht gleich etwas anfangen kannst. Die gewünschte Leine mit 2 Karabinern habe ich auch. Und eine Schleppleine ohne Schlaufe für den Garten, bis du weißt, wo du hingehörst und wir uns gut kennen.

Das Sicherheitsgeschirr trägst du bereits, wenn du ankommst. Safetey first, perfekt. Spielzeug habe ich natürlich auch besorgt. Und dann einer Sicherheitsprüfung unterzogen. Man liest ja so einiges. Die Tennisbälle habe ich dann gleich wieder entsorgt. Ich wusste beim Kauf noch nicht, dass sie den Zahnschmelz abschmirgeln und deshalb schädlich sind. Aus dem Stoff-Schaf habe dann doch lieber die Glöckchen rausoperiert. Nicht auszudenken, wenn du das Viech zerkaust und dann die Metalldinger verschluckst. Himmel, an was man alles denken muss. Egal, Safety first.

Nun fehlst nur noch DU. Ich zähle die Tage. Es sind noch 2. Ich freue mich unendlich auf dich.

Natürlich besuche ich dich weiter täglich im Internet und kenne jedes deiner Haare schon beim Vornamen.

 

Tag 38

Ich stehe mit vielen anderen Menschen am Haltepunkt. Gleich kommt der Shuttlebus aus Sardinien. Es ist also Wirklichkeit - DU wirst gleich bei mir sein. Es ist der schönste Tag meines Lebens. Und deines Lebens ganz bestimmt auch! Ich werde schlicht dafür sorgen, dass es so ist.

 

Das Aussteigen der Hunde hat begonnen - der Haltepunkt gleicht mittlerweile einem Kreißsaal. Überglücklich nehmen Mütter (und Väter) ihren vierbeinigen Nachwuchs entgehen. Es ist alles sehr emotional. Bei jedem Hund, der auf dem Arm herausgetragen wird, verrenke ich mir den Hals. Nein, du bist noch im Transporter.

Und dann – endlich – hast auch du es geschafft, als vorletzter Hund. Ich nehme dich auf den Arm. Lange werde ich das nicht durchhalten, denn du wiegst etwa 30kg. Ächzend bahne ich mir den Weg zum Auto. Die Vermittlerin hatte mich gebeten, dich bloß nicht abzusetzen. Es ist hektisch hier, du kennst dich nicht aus, die Autobahn ist nah am Haltepunkt – alles zu riskant, denn du könntest dich losreißen. Jetzt fängst du an zu strampeln und leckst mir durchs Gesicht – das hatte ich nicht erwartet und grinse entzückt vor mich hin. So, nun sind wir am Auto. Mein Mann steht schon bereit mit geöffneter Tür und sichert dich, während ich auf die Rückbank klettere. Du wedelst und fiepst, es ist alles maximal spannend. Natürlich! Aber du lässt dich ins Auto heben und ich nehme dich in meine Arme.

 

Für diese eine Fahrt ist es unendlich wichtig, dass du nicht in einer Transportbox fährst, hat man mir gesagt. Denn der erste enge Kontakt, mein Geruch, meine Nähe – all das wird sich unwiderruflich in dein Gehirn brennen und ist von großer Bedeutung für unsere Bindung. Die Fahrt nach Hause dauert 2 Stunden. Ich habe mich auf alles gefasst gemacht und sitze mit dir gemütlich zwischen einer Anstaltspackung Zewa-Rollen, Einmalwaschlappen und Decken.

Aber du spuckst nicht, du machst nicht Pipi, du wirst nicht panisch. Du hast dich einfach nur ganz eng an mich gedrückt und deine buschige Rute wedelt unentwegt. Mir laufen ein paar Glückstränen übers Gesicht und tropfen in dein Fell.

Ich streichele dich, flüstere dir viele Dinge zu, die nur uns gehören werden. Du hebst deinen schönen Kopf, legst ihn etwas schräg und siehst mich an. Ich erkenne deinen Blick. Er geht bis in meine Seele. Aber jetzt haben deine Augen einen anderen Ausdruck. Obwohl es schon dämmert, kann ich erkennen, dass sie leuchten. Alle Schwermut scheint daraus verschwunden zu sein.

Mein Freund, mein Seelenhund – lass uns nach Hause gehen.

Das Leben wartet auf dich!

 

Ich habe dich vom ersten Moment an geliebt und werde nie damit aufhören.

P.S.:

Es ist nur dein Verdienst, dass ich nun aktiv im Tierschutz bei saving-dogs bin und hoffentlich etwas bewirken kann. Du hast mein Leben komplett auf den Kopf gestellt und bist der Grund für alles, was ich heute bin und tue. Du hast meinem Leben einen tiefen Sinn gegeben. Dafür liebe ich dich noch mehr – falls das überhaupt möglich ist.

 

Natürlich solltest du nicht alleine bleiben, sondern einen passenden Hundekumpel an deiner Seite haben. Ein sardischer Schäferhundmischlings-Welpe aus dem Tierschutz zog ein und du warst dem kleinen Kerlchen ein wundervoller Ersatzpapa und Lehrer. Euch verbindet eine tiefe Freundschaft – keine Zeitung passt dazwischen.

Ich kann dir gar nicht sagen, wie dankbar ich bin, dass ich dich kennenlernen durfte. Du und dein Freund, ihr seid meine Kinder. Nicht, dass ich Euch vermenschliche. Ich will damit nur sagen, dass eine Mutter ihre Kinder nicht mehr lieben könnte als ich euch liebe. Ihr seid meine Familie. Und das fühlt sich jeden Tag gut und richtig an. Ich bin ein glücklicher Hundemensch.